Franziska Zaugg
Miszelle
Veröffentlicht am: 
24. Februar 2014

Ursprünglich sollte dieser Reisebericht zu „militärhistorischen Erinnerungsorten Albaniens“ von den letzten Tagen deutscher Besatzung in Albanien erzählen, von den Rückzugskämpfen Richtung Bosnien und vom deutschen Soldatenfriedhof im grossen Stadtpark von Tirana. Zudem sollte er die Frage aufwerfen, ob ein solcher Friedhof gerechtfertigt sei. Erst als sich Albanien in den 1990er Jahren gegenüber Europa wieder zu öffnen begann, kam 1994 ein Kriegsgräberabkommen zwischen Deutschland und Albanien zustande. Aufgrund inneralbanischer Unruhen konnte das Projekt allerdings erst 2002 in Angriff genommen werden. Der durch den Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge finanzierte und mit einigem Aufwand konstruierte kleine Soldatenfriedhof wurde im Jahre 2006 eingeweiht. Auf Steinplatten sind die Namen von rund 1.800 Gefallenen der Wehrmacht zu lesen, insgesamt waren es in Albanien rund 2.600. Gleich gegenüber liegt der Soldatenfriedhof der Briten. Der weitläufige Park wie auch die beiden Friedhöfe sind einen Besuch wert.

Doch die starke, ja überwältigende Präsenz der Bunkersysteme aus der Ära Enver Hoxha (Autokrat sozialistischer Färbung, regierte Albanien von 1944 bis 1985) liess die anfängliche Idee verblassen. Ihnen soll sich deshalb der folgende Bericht widmen. Offizielle Schätzungen gehen von 200.000 bis 250.000 Ein- und Mehrmannbunkern aus – verstreut über das ganze Land. Sie konzentrieren sich an den Grenzen, an der 362 Kilometer langen Küste, in den grenznahen Gebieten zur ehemaligen Föderativen Volksrepublik Jugoslawien, aber auch an strategisch wichtigen Orten wie beispielsweise in Tirana. Für viele Albaner, aber immer mehr auch für in- und ausländische Historiker, gelten diese Bunker als Erinnerungsorte erster Ordnung, symbolisieren sie doch den unerbittlichen Kampf Hoxhas gegen seine äusseren und ebenso seine inneren Feinde bzw. diejenigen, die er zu solchen machte.

Wie viele andere Kriege vorher auf diesem Gebiet, hatte der Zweite Weltkrieg für Albanien einschneidende Folgen: Zwischen 1939 und 1943 war das Land von den Italienern besetzt und stand von September 1943 bis November 1944 unter deutscher Herrschaft – mit einer prodeutschen Marionettenregierung an seiner Spitze. Offiziell endete der Krieg auf albanischem Gebiet mit der Befreiung des Landes durch die Partisanen und deren Einmarsch in Tirana am 29. November 1944. Nachdem Hoxha die Wahlen im Januar 1945 mit einer überwältigenden Mehrheit von 95 Prozent gewonnen hatte, errichteten er und seine Parteifunktionäre ein totalitäres Regime: Potentielle und wirkliche Gegner, darunter Zogisten, Nationalisten, Demokraten, die einstmals mit den Kommunisten in der Nationalen Befreiungsfront (1943) vereint gewesen waren, wurden verurteilt, hingerichtet oder in Arbeitslager verschleppt. Zwischen 1944 und 1992 wurden über 30.000 Personen deportiert und knapp 18.000 politische Gefangene waren in 48 Arbeitslagern und 23 Gefängnissen registriert.

Der Bau der Bunkeranlagen ist der sichtbare Höhepunkt einer jahrzehntelangen Entwicklung in Richtung Isolation: Nachdem die Kommunistische Partei Jugoslawiens 1948 aus der Komintern ausgeschlossen worden war, wandte sich Hoxha von Jugoslawien ab, schloss die Grenzen und stellte die diplomatischen Beziehungen ein. 1961 zerbrach auch die Beziehung zwischen Albanien und der Sowjetunion. Übrig blieb China, welches das kleine Albanien gerne als europäischen Brückenkopf sah. 1978, nachdem Hoxha auch den Chinesen die Freundschaft gekündigt hatte, stand Albanien „allein gegen den Rest der Welt“. Sichtbar wurde die zunehmend paranoide Politik gegenüber dem westlichen wie dem östlichen Ausland im Bau gigantischer Anlagen von Minibunkern bis hin zu grossen Modellen. Erstere waren für Infanteriewaffen, letztere für Artillerie gedacht. Ende der sechziger Jahre, als sich die Beziehungen zwischen China und Albanien abkühlten, gaben Hoxha und Premierminister Mehmet Shehu den Startschuss für den Bau des ersten Bunkers. Als unmittelbare Gründe für den Bunkerbau gelten der Sechs-Tage-Krieg 1967 und der Einmarsch der sowjetischen Armee in die Tschechoslowakei 1968. Die Bunker waren Stahl-Beton-Konstruktionen, finanziert mit Geldern, die dringend in anderen Bereichen der Gesellschaft benötigt worden wären: Für den Bau eines kleinen Bunkers benötigte man vier Tonnen Stahl und sechs bis sieben Tonnen Zement für das Betongemisch, für einen grossen Bunker rund 27 Tonnen Stahl und 96 Tonnen Zement.

Die Anlagen waren nicht zum Schutz der Bevölkerung, sondern zur Verteidigung des Landes durch das Volk gedacht. Albaner und Albanerinnen im Alter zwischen 21 und 55 Jahren waren bis 1985 verpflichtet, 25 Tage im Jahr Militärdienst zu leisten und den Ernstfall einer Invasion – von Ost oder West – zu trainieren. Später betrug das Dienstsoll noch neun Tage pro Jahr. Die ständige Propaganda, allen übrigen Ländern gehe es derart schlecht, dass sie nur auf einen günstigen Zeitpunkt warten würden, um Albanien einzunehmen, vermochte die wachsende Skepsis in der Bevölkerung nicht zu zerstreuen: Waren nicht die wenigen Dinge, die man aus dem Ausland zu sehen bekam, von guter Qualität? Und die heimlich empfangenen italienischen Fernsehsendungen – erzählten sie nicht vom Wirtschaftsboom der beginnenden Achtziger Jahre? Wer allerdings kritisierte oder laut Fragen stellte, wurde umgebracht oder verschwand für Jahre in einem der zahlreichen Arbeitslager.

Die Bunker hatten in erster Linie die Funktion, den äusseren Feind bei einer geplanten Invasion frühzeitig aufzuhalten. Seltener wurden sie von Grenzsoldaten als Beobachtungsposten genutzt. Um zu verhindern, dass Systemgegner aus Albanien entkamen, wurde das Land zudem mit einem immensen Aufwand eingezäunt. Wer in ein grenznahes Dorf fuhr, musste sich ausweisen können und wurde nach dem Grund seiner Reise gefragt. Eine Flucht ins Ausland war damit beinahe unmöglich.

Die Bunker, Erinnerungsorte der albanischen Bevölkerung und wichtige Zeugnisse der Zeit unter Hoxha, sollen nun nach und nach beseitigt und damit die Vergangenheit aus dem Gedächtnis getilgt werden. Andenken an eine Zeit, in welcher ein totalitäres System über vier Jahrzehnte gegen einen Feind, der nie kam, und gegen die eigene Bevölkerung mobil machte, sollen ausgelöscht werden. Dies gilt in einem besonders hohen Masse für die umfangreichen Bunkersysteme: Aus ganz unterschiedlichen Gründen sollen sie weichen, etwa aus landwirtschaftlichen, touristischen oder stadtplanerischen. Die Regierung der Stadt Tirana liess bereits etliche Bunker aus dem Stadtbild entfernen. Es gibt aber auch Albaner, die sich des historischen Stellenwerts der Bunkersysteme bewusst sind und diese sowohl der wissenschaftlichen Erforschung als auch interessierten Touristen zugänglich machen möchten.

Gespräche zu Bunkersystemen wurden geführt mit Marenglen Kasmi, Militärhistoriker, Dozent für Militärgeschichte an der albanischen Militärakademie Tirana, Gjergj Mihali, Politologe und Elton Çaushi, Entwicklungsspezialist („Master en études du développement“). Die beiden Letztgenannten betreiben die Plattform www.albaniantrip.com, auf welcher sie Stadtführungen durch Tirana und Ausflüge ins Hinterland beispielsweise zu den Bunkersystemen anbieten. Siehe zum Soldatenfriedhof in Tirana: http://www.tirana.diplo.de/Vertretung/tirana/de/06/Bilaterale__Kulturbez...

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