Nina Janz
Aufsatz
Veröffentlicht am: 
19. März 2024
DOI: 
10.15500/akm20.08.2018

Einleitung

Über drei Millionen Soldaten der deutschen Verbände kamen an der Ostfront ums Leben. Von Murmansk bis in den Kaukasus und an die Küste des Schwarzen Meeres erstreckte sich die Kampflinie und bildetet damit die Arbeitsregion der sogenannten Gräberoffiziere der Wehrmacht, die sich um die Gräber und die Anlage von Begräbnisstätten für die Gefallenen kümmerten. Die Tätigkeiten der Gräberoffiziere und weiteren Verantwortlichen waren ein wesentlicher, wenn nicht gar der bedeutendste Teil im Organisationsapparat für die Fürsorge der Militärtoten im Zweiten Weltkrieg. Der erste direkte Kontakt mit dem Tod im Krieg und der erste professionelle Umgang, erfolgte – neben Sanitätern und ggf. anwesenden Kameraden –durch die Bestattungskommandos und die Gräberoffiziere. Die sogenannte Verarbeitung der Tatsache des Sterbens eines Soldaten, also die Beisetzung und das Festhalten der Grablage sowie die ordentliche Überprüfung des Begräbnisses, erfolgte durch die Gräberverantwortlichen an der Front. Die zuständigen Gräberoffiziere hatten teilweise nur eine Aufgabe: Die Fürsorge für die Toten und die ordnungsgemäße Beisetzung der Gefallenen.

Im folgenden Abschnitt sollen der Alltag und die Tätigkeiten von Gräberverantwortlichen der Wehrmacht an der Ostfront geschildert werden. Aus Tätigkeitsberichten, Tagebuchauszügen, Befehlssammlungen und Nachlässen von Gräberoffizieren können Praxisbeispiele und der Arbeitsalltag rekonstruiert und so ein kleiner Einblick in den Umgang mit den militärischen Kriegstoten im Zweiten Weltkrieg gewonnen werden. Bisherige wissenschaftliche Studien haben den praktischen Umgang mit dem Kriegstod im deutschen Militär nicht in den Blick genommen. Werke, die Sterben und den Tod in der Wehrmacht beinhalten, richteten den Fokus häufig auf das Töten durch die Deutschen, insbesondere in Bezug auf die jüdischen und zivilen Opfer in der Sowjetunion,1 oder behandelten die Sinnfrage nach dem Sterben unter den Soldaten selbst, etwa anhand von Feldpostbriefen.2

Der Blick auf die Gräberverantwortlichen und ihre Erfahrungen ermöglicht eine neue Perspektive auf die Begräbnispraxis und den Umgang mit dem Kriegstod der Kameraden. Da sich jeder geografische Kriegs- und Zeitabschnitt des Zweiten Weltkrieges voneinander unterscheidet, kann kein Gesamtüberblick über die Begräbnisse und über den Umgang mit Gefallenen in der Wehrmacht gegeben werden. Daher kann das folgende Beispiel der Ostfront in den Jahren 1942 bis 1944 nicht stellvertretend für jeden Abschnitt und Kampfort stehen, jedoch kann damit ein Ausschnitt des Frontalltages und der Reaktion auf Tod und Trauer gegeben werden. Die Ostfront gilt vielen als Inbegriff verlustreicher Kämpfe, mit blutigen Schlachten von Leningrad, Kursk, Rschew und allen voran Stalingrad. Den Frontalltag, so wird erwartet, bestimmte der Tod. Auf den gesamten Kriegszeitraum gerechnet fielen an der östlichen Frontlinie 2,7 Millionen deutsche Soldaten, knapp die Hälfte aller Militärtoten der Wehrmacht.3 In den vier Kriegsjahren im Osten vervierfachte sich außerdem die deutsche Verlustrate von ca. 300 000 im Jahr 1941, auf ca. 1,2 Millionen im Jahr 1944.4 Nicht jeder von den fast drei Millionen Gefallenen konnte gemeldet, geborgen und beigesetzt werden. Der folgende Einblick in die Arbeit der Gräberoffiziere an der Ostfront beschreibt den Versuch, diese Aufgabe zu bewältigen.5

Zwei Gräberoffiziere

Die Arbeit der Gräberoffiziere der Wehrmacht unterschied sich je nach Rang und Stellung der Männer. Neben dem Dienst in Bestattungs- bzw. Gräberkommandos arbeiteten sie in der Hauptverwaltung des Wehrmachtverlustwesens, in der Wehrmachtauskunftstelle, im Gräbernachweis im Reich sowie in den Divisionen, in den Ortskommandanturen und im rückwärtigen Bereich. Der Arbeitsalltag wird hier anhand der Dokumentationen von Julius Wessinger und Max Aurich sowie durch ergänzende Beispiele weiterer Gräberoffiziere an der Ostfront dargestellt.

An der Front – Julius Wessinger, Gräberoffizier und evangelischer Wehrmachtspfarrer der 15. Infanterie-Division

Julius Wessinger (1895–1965), als Offizier der Reserve bereits in der Reichswehr eingesetzt, war bis zum Kriegsbeginn Wehrmachtspfarrer in Frankfurt am Main.6 Während des Krieges berief die Wehrmacht Wessinger als evangelischen Pfarrer in die Wehrmachtsseelsorge,7 später dann auch als Divisionspfarrer der 15. Infanterie-Division. Die über 10 000 Mann starke Division wurde nach einem ersten Aufenthalt an der Ostfront im Krieg in Frankreich und vor allem in Westrussland, der Ukraine und im Gebiet Moldau eingesetzt. Wessinger begleitete die Soldaten der Division bis Kriegsende.8 Neben seelsorgerischen Aufgaben und der Durchführung der Gottesdienste9 überprüfte er als Gräberoffizier die ordentliche Beisetzung der Gefallenen, registrierte die Grablagen und meldete sie nach Berlin.10

Im rückwärtigen Gebiet –Der Wehrmachtgräberoffizier (WGO) 79 Max Aurich

Max Aurich (1893–1976), ein Kunstmaler aus Dortmund und Soldat im Ersten Weltkrieg, wurde 1942 im Alter von 49 Jahren als Wehrmachtgräberoffizier (WGO) bzw. als Stabsoffizier für das Wehrmachtverlustwesen11 bei der 3. Panzer-Armee eingesetzt. Da für die Verwendung an der Front aufgrund seines Alters ungeeignet, wurde Aurich in die Gräberfürsorge der Wehrmacht abgeordnet. Er durchlief für seine Tätigkeit eine viermonatige Ausbildung12 und verblieb im Dienste der Gräberfürsorge bis zum Ende des Krieges. Sein Einsatz erfolgte in Witebsk, Polozk, Ostpreußen und Samland. Als WGO arbeitete er hinter der Front, richtete dauerhafte Friedhöfe ein, setzte vorhandene Friedhöfe instand, bettete Einzelgräber um, registrierte und meldete vorab unbekannte Gräber und identifizierte und exhumierte Unbekannte.13 Die zentrale Aufgabe bestand in der Überwachung und Durchführung der ordnungsgemäßen Bestattung der Kriegstoten und der Anlage von Friedhöfen in seinem Bezirk.14 Laut eigener Aussage baute Aurich in knapp vier Kriegsjahren Friedhöfe für fast 5 000 Gefallene, bearbeitete über 4 000 Verlustmeldungen und exhumierte 3 000 unbekannte deutsche Soldaten, die er zu 65 % identifizieren konnte.15 Insgesamt standen Aurich für seine Ausübung der Aufgaben dreizehn Personen (zwei Feldwebel, fünf Unteroffiziere, fünf Obergefreite und eine Stabshelferin) zur Verfügung.16

Der Kriegsalltag zwischen Schreibtisch und Friedhof

Die zwei vorgestellten Gräberoffiziere arbeiteten in ähnlichen Frontabschnitten, aber auf verschiedenen Ebenen. Der Dienstalltag während des Krieges von Wessinger als Gräberoffizier der 15. Division kann aus seinen zahlreichen Schriftwechseln und Tätigkeitsberichten entnommen werden.17 Während Wessinger seiner Division entlang der Ostfront folgte, war der WGO Aurich im rückwärtigen Gebiet insbesondere mit der Identifizierung unbekannter Toter und dem Bau von dauerhaften Kriegerfriedhöfen beschäftigt.

Friedhöfe und Gräber

Der Bau und die Überwachung des ordnungsgemäßen Anlegens von Gräbern, gehörte zu den Hauptaufgaben und zu den intensivsten und aufwendigsten Tätigkeiten der Gräberoffiziere. Während Wessinger im Divisionsbereich Orte und Plätze für den Friedhofsbau bestimmen musste, den Bau überwachte und damit erst einmal temporäre Lösungen suchte, war Aurich als WGO im rückwärtigen Gebiet mit der Auswahl und der Vereinheitlichung der Begräbnisstätten und ihrem Ausbau als dauerhafte Anlagen beschäftigt.

Für Wessinger stellten sich nach den Begräbnissen der Gefallenen Fragen nach den Materialien für den Friedhofsbau. Zwar führte die Division in Nachschubkolonne und Trossen teilweise Werkzeuge und Materialien mit, dennoch bestellte Wessinger bei der Division zusätzlich Bretter, Scharniere und Farbe für den Bau der Anlagen.18 Neben dem Aufwand und den Schwierigkeiten bei Bauausführung und Materialbeschaffung erschwerten Kampfhandlungen und die Frontveränderungen die Arbeit der Gräberoffiziere.

Der Kommandeur der 15. Infanterie-Division ordnete im September 1941 bei der Räumung des Jelnjabogen bei Smolensk an, alle Birkenkreuze, Schrifttafeln, Stahlhelme sowie die Reihentafeln und das Eingangsschild des Divisions-Friedhofes zu entfernen und beim Gepäcktross vorsorglich zu deponieren.19 Die Vorsichtsmaßnahme sollte Zerstörungen durch Kampfhandlungen oder auch Verwüstungen durch die Rote Armee vermeiden. Von einer Zerstörung deutscher Friedhöfe berichtet ein anderer Gräberoffizier, Manfred Wintzer von der 26. motorisierten Infanterie-Division, in seinem Tagebuch während seines Einsatz im südlichen Leningrader Raum.20

In anderen Kriegsabschnitten wurde ein großer Aufwand für den Bau von Friedhöfen betrieben. In Karagos auf der Krim errichtete die 170. Infanterie-Division einen ‚Ehrenfriedhof‘ für ihre Gefallenen (siehe Abbildung 1). In einer eigens hergestellten Broschüre für die Angehörigen der Toten wird die Anlage der Ruhestätten beschrieben.21 Den monumentalen Friedhof erbaute die Division demnach in neun Wochen mit 62 Mann der eigenen Einheit. Es wurden zeitweilig ebenfalls bis zu 80 „zivile Arbeitskräfte“, also Zwangsarbeiter, darunter auch Frauen, rekrutiert.22 Schwierigkeiten gab es demnach bei der Beschaffung von Werkzeugen, Zement und Sand, die teilweise auch aus anderen Städten herantransportiert werden mussten. Für das Holz für die Grabzeichen wurden demnach Dachbalken einer zerstörten Tabakfabrik genommen. Der geplante Waldfriedhof, in dessen Mitte ein Ehrenmal als „Altar des Vaterlandes“ stand, enthielt neben einer Wasserleitung und Zapfstellen für das Gießen der Pflanzen auch eine eigene Gärtnerei für die Zucht der Blumen.23

Der Friedhof der 170. Infanterie-Division auf der Krim stellt in seiner Ausgestaltung, seiner Bauzeit und seiner Verwendung von Material und Arbeitskräften eine seltene Ausnahme unter den deutschen Begräbnisstätten des Zweiten Weltkrieges in Osteuropa dar. Den Aufwand, der beim Bau, bei der Bepflanzung und der Gestaltung der Denkmäler betrieben wurde, konnte und wollte die Wehrmacht nicht an jedem Ort vornehmen.24 Die Krim war fast zwei Jahre durch die deutschen Truppen besetzt; die Kapazitäten zum Bau dieser Anlage waren damit vermutlich vorhanden. Jedoch entsprach dieser Friedhof nicht dem Alltag der anderen Gräberoffiziere wie Wessinger und Wintzer, wo bereits das Heranschaffen von Holz zur Herausforderung werden konnte.25

Trost für die Angehörigen – das Grabfoto

Der Friedhof der 170. Infanterie-Division auf der Krim war den Lebenden wie den Toten gewidmet.26 Den überlebenden Kameraden wie auch den Angehörigen der Gefallenen sollte dieser als Trost dienen und den Familien im Reich die Gewissheit liefern, dass der Sohn oder Bruder auf einer schönen Anlage ruhte. Diesen Anspruch verinnerlichten auch die Gräberoffiziere. Für die Kameraden versuchten sie in ähnlicher Weise wie die Pfarrer – in Seelsorge- und Gottesdiensten – dem Sterben einen Sinn zu geben. Den Angehörigen sandten sie (nachdem der Kommandeur den Tod meldete) ein Foto des Grabes, ordentlich angelegt mit Namenszug, Eisernem Kreuz und mit Blumen geschmückt. Der Bilderdienst und die Erstellung der Fotografie vom Grab des Gefallenen stellte eine der bedeutendsten Verbindungen zwischen Ruhestätte des Gefallenen und den Angehörigen dar, zählten aber zu den aufwendigsten und zeitintensivsten Aufgaben der Gräberoffiziere. Die Angehörigen konnten entweder direkt beim Gräberoffizier oder in der Verlustabteilung der Wehrmacht im Reich ein Grabfoto in Auftrag geben. Das Anfertigen eines Grabbildes war in einer besonderen Anweisung geregelt. Darin wurde der Fotograf angewiesen, nur hergerichtete Gräber, d. h. mit ordentlichen Grabzeichen, Beschriftung und Pflanzung, zu fotografieren. Die Erstellung dieser Aufnahme führte zu zahlreichen Problemen, angefangen vom Besitz einer Kamera bis hin zur Entwicklung der Negative. Die Verlustabteilung beim Allgemeinen Wehrmachtamt in Deutschland erhielt demnach zahlreiche Negative von der Front, die dann entwickelt und an die Angehörigen gesandt wurden. Dabei ist hier von einem Idealzustand die Rede: Der Anspruch, jeder Familie eines Gefallenen, also bis zu fünf Millionen Familien, eine Aufnahme des hergerichteten und gepflegten Einzelgrabes des Gefallenen zu übersenden, war utopisch. Die zusätzliche Belastung der Wehrmachtsdienststelle, Beamten und Offiziere neben dem alltäglichen Kriegsalltag wurde in Kauf genommen wurde, damit der „schwache und dennoch notwendige Trost“ über den Verlust des Bruders, Vaters oder Ehemanns erbracht werden konnte.27 Die Grabaufnahmen stellten so eine bedeutende Verbindung zwischen Heimat und Front dar und ließen zwischen den Familien und ihren Toten eine gewisse Nähe suggerieren. Angesichts des Todes in der Fremde und der fehlenden Trauermöglichkeiten für die Familien kreierte die Fotografie einen Trauerort, da der Besuch des Grabes unmöglich war. Sie belegte andererseits die Fürsorge des Militärs und zeigte den Angehörigen die Anteilnahme der Wehrmacht für ihren Verlust.28

Die Praxis der Grabaufnahmen stammte aus dem Ersten Weltkrieg und der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die Technik der Fotografie war inzwischen weit verbreitet und hatte sich zum Alltagsgut entwickelt. Die meisten deutschen Gräber des Ersten Weltkrieges befanden sich im Ausland; einen Besuch konnten sich viele Familien nicht leisten. So entwickelte der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge die Idee, Aufnahmen der jeweiligen Ruhestätten anzufertigen und den Familien zu übersenden.29 Dieser besondere Dienst konnte im Zweiten Weltkrieg weiter ausgebaut werden: Durch bessere Kommunikationswege, d. h. bessere Transport- und Feldpostwege, kleinere und handlichere Kameras sowie schnellere Filmentwicklungsmöglichkeiten, eine systematischere und zentrale Verlustabteilung, die bei den deutschen Armeen im Ersten Weltkrieg in dieser Form nicht existierte, konnten die Wünsche der Angehörigen teilweise erfüllt werden. Auch Wessinger und Aurich waren hauptsächlich mit dem Fotografieren und Herrichten der Gefallenengräber beschäftigt.30

Die Grabaufnahmen waren aber nicht die einzige Verbindung zwischen den Gräberbeauftragten und den Angehörigen. Insbesondere die Offiziere, die auch als Pfarrer der Truppe fungierten, sahen es als ihre Pflicht an, ebenfalls seelsorgerischen Beistand von der Front für die Angehörigen zu leisten. Täglich erreichten Wessinger Briefe der Angehörigen der Toten, die nach den Todesumständen fragten, ob der Sterbende die letzten Sakramente erhalten hatte, oder sich nach der Art der Trauergottesdienste erkundigten. Ein anderer evangelischer Divisionspfarrer bei der 12. Infanterie-Division hielt die Zahl von über 800 Briefen fest, die er innerhalb knapp eines Jahres aus Deutschland erhielt und beantwortete.31 Einige Familien fragten nach den Todesumständen der Soldaten; Wessinger verharmloste seine Antworten und verwendete oft Standardsätze wie „er starb durch einen Kopfschuss“ oder „er musste nicht leiden“.32 Wiederum andere Angehörige sorgten sich um die letzte Ruhestätten ihrer Lieben und beabsichtigten, Kränze, Blumen oder gar Geldbeträge zu übersenden. Wessinger bat jede Familie, von Blumen- und Geldspenden abzusehen und versicherte, die Wehrmacht kümmere sich selbst um die Friedhöfe der Gefallenen.33 Dennoch schafften es wohl einige Angehörige, kleine Kränze an die Front zu übersenden, und Wessinger versprach den Absendern im Sommer 1943, dass der Kranz am Kreuz des Gefallenen angebracht werden würde.34 Inwiefern die Briefe und die Versprechungen von Wessinger der Wahrheit entsprachen, kann nicht im Einzelnen überprüft werden.

Nur Todesbenachrichtigung und Grabfoto verbanden den Tod an der Front mit den Angehörigen in der Heimat. Das Bild der Grabstätte war jedoch lediglich ein Trugbild und Teil einer propagandistischen Inszenierung: Der Gefallene ruhte laut den gestellten Aufnahmen in einem schönen Park, in einem mit Blumen geschmückten und gepflegten Grab, so wie es die Angehörigen sich wünschten. Angrenzende Ruinen, Lazarette oder weitere 1 000 Kreuze von anderen Toten waren oftmals auf den Aufnahmen nicht zu erkennen. Der reale Kriegsalltag, der von Zerstörung, Gewalt und Leid geprägt war, wurde in eine schöne Parklandschaft verwandelt. Häufig nutzten die Gräberoffiziere sogar dieselben Pflanzen oder dasselbe Kreuz nur mit jeweils einer anderen Aufschrift zum Fotografieren. So konnte trotz Material- und Zeitmangel den Angehörigen eine heile Welt vorgeführt werden. Andere Bilder von der Front drangen nicht in die Heimat, schon gar nicht Bilder von toten deutschen Soldaten.35 Stattdessen wurden monumentale Friedhofsanlagen (zum Beispiel wurde eine Friedhofsbroschüre für die 170. Infanterie-Division auf der Krim hergestellt), das Vorrücken von Panzern wie auch starke, gesunde und unverletzte Soldaten als Kriegsalltag gezeigt –ein Krieg ohne Tote.36

Umbettungen und Identifizierungen

Die Identifizierung von Toten sowie die Umbettungen der Begrabenen auf dauerhafte Friedhöfe beanspruchten die Gräberoffiziere in den Divisionen und insbesondere die WGO zu einem großen Teil. Obwohl im Kampfgebiet die dringlichste Aufgabe für die Gräberoffiziere darin bestand, die Toten zu beerdigen und Friedhöfe anzulegen, machte die Suche nach Vermissten und unbeerdigten Toten ebenfalls einen wesentlichen Aspekt ihrer Arbeit aus. Trotz einer ordnungsgemäßen Bestattung konnte eine Meldung oder Identifizierung nicht immer erfolgen, entweder durch Fehler der Bestattenden oder durch die Kriegsumstände, wie zerstörte Gräber, der Verlust von Erkennungsmarken37 oder Grabmeldungen. Die Gräberoffiziere öffneten die Gräber und versuchten, den unbekannten Toten nochmals zu identifizieren. Die Leichen wurden nach persönlichen Gegenständen oder Dokumenten, die die Identität hätten preisgeben können, durchsucht.

Von einer systematischen und professionell durchgeführten Umbettung, einer Überführung von temporär beerdigten Soldaten an Straßen oder in Waldstücken auf größere Divisions-Friedhöfe, berichtet ein Gräberoffizier der 293. Infanterie-Division im Gebiet Orel (siehe Abbildung 2).38 Im Juli 1942 exhumierten und wiederbestatteten rund 20 Mann bestehend aus Sanitätspersonal, Kraftfahrer und Protokollschreiber unterstützt von russischen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen in 14 Nächten 247 deutsche Gefallene. Die Umbettungskommandos arbeiteten nachts, da sie Zuschauer, Wehrmachtsoldaten wie Einheimische, sowie die sommerliche Hitze und damit verbundenen Gerüche und Fliegen vermeiden wollten, wie der Gräberoffizier begründete. Teilweise arbeiteten die Männer elf Stunden am Stück. Für das deutsche Personal wurden die ärztlichen Anweisungen strikt befolgt: So sollten die Umbetter Gummihandschuhe tragen und sich nach jeder Leiche desinfizieren. Die russischen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen dagegen wurden nicht in demselben Umfang geschützt; sie erhielten nur einfache Wollhandschuhe, durch die Leichenflüssigkeit schnell durchsickern konnte. Die Leichen wurden in Holzsärge gelegt und der Boden mit trockener, mit Chlorkalk gemischter Erde ausgestreut. Da einige Soldaten im Winter gefallen waren, klebten Leichenteile noch aneinander. Die Namen der Toten wurden festgehalten, teilweise durch Erkennungsmarken oder durch bei den Leichen vergrabenen Flaschen.39

Diese Beispiele zeigen den teilweise hohen Aufwand bei der Identifizierung und Beisetzung der Wehrmachtsgefallenen, jedoch muss erneut darauf hingewiesen werden, dass es sich dabei um Einzelfälle handelt und dieser langwierige Prozess der Umbettungen und v. a. die Abstellung von zusätzlichem Personal nur selten möglich war.

Schlussbetrachtung

Die Mikrostudie zur Arbeit der Gräberoffiziere Julius Wessinger und Max Aurich eröffnet erste Erkenntnisse über den Umgang der Wehrmacht mit dem Tod der Gefallenen im Zweiten Weltkrieg. Sie gibt einen Einblick in die Verwertung von Toten, den Versuch Würde und Ordnung zu erhalten und die Familien in der Heimat über den Tod zu informieren. Die Tätigkeitsberichte und Tagebücher der Gräberfürsorge zeigen, dass dieser Anspruch mal mehr, mal weniger oder auch gar nicht gelungen ist.

Die Arbeit der Gräberoffiziere war durch ausdifferenzierte Vorschriften klar geregelt. Doch wie die Ausführungen zeigen, gab es in der Praxis weder bei den Bestattungen, bei der Anlage von den Ruhestätten, beim Umbetten von Toten sowie beim Kontakt mit den Angehörigen eine einheitliche und problemlose Vorgehensweise. Hinzukam, dass sich die Arbeit auch an der Ostfront nach Zeit- und Einsatzraum unterschied. Aurich als WGO konnte im rückwärtigen Gebiet wesentlich größere und als dauerhaft geplante Friedhöfe einrichten als Wessinger, der direkt bei der Division eingesetzt war und sich häufiger mit Beisetzungen beschäftigen musste (auch wegen seiner Tätigkeit als Pfarrer). Während zu Beginn des Krieges noch keine funktionierende Gräberverwaltung mit eingeteilten Zuständigkeiten existierte, was v. a. in Polen zu unbefriedigenden Strukturen im Bestattungs- und Meldewesen führte, konnten die gewonnen Erfahrungen (auch in Frankreich) später in ein Regelwerk für die Gräberfürsorge überführt werden.40 Trotzdem halfen den Gräberoffizieren auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion auch keine detaillierten Befehle und Richtlinien, zu sehr waren sie den sich wandelnden Frontverläufen, dem Klima, den Distanzen und den damit einhergehenden Logistik- und Kommunikationsproblemen unterworfen. Während im Westen und Süden der Sowjetunion, wo die Wehrmacht länger, mancherorts fast bis zu drei Jahre als Besatzungsmacht anwesend war, große parkähnliche Friedhöfe errichtet wurden, waren die Gräberoffiziere in anderen Kriegsgebieten beispielsweise durch die raschen Kampfveränderungen nicht in der Lage, dieselbe Arbeit für die Gefallenen zu leisten.

Der Aufwand und die Mühen um die Gefallenen- und Gräberfürsorge von Wessinger, Aurich und anderen Offizieren wurde mit dem Kriegsende infrage gestellt. Auf dem Rückzug der Wehrmacht Richtung Westen machten die deutschen Truppen ihre ‚Heldenfriedhöfe‘ häufig selbst unkenntlich, aus Angst vor der Zerstörung durch die gegnerische Rote Armee und der Entweihung und Entwürdigung ihrer angelegten Gräber. Die deutschen Grabkreuze und Friedhofsanlagen an der Ostfront wurden nach Kriegsende in der Sowjetunion zerstört, überbaut und vergessen. Nur die Gebeine der deutschen Gefallenen verblieben in der Erde und geben Zeugnis für ein sinnloses Morden und Sterben.

  • 1. Vgl. z. B. Harald Welzer, Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden, Frankfurt a. M. 2011.
  • 2. Klaus Latzel, Vom Sterben im Krieg. Wandlungen in der Einstellung zum Soldatentod vom Siebenjährigen Krieg bis zum II. Weltkrieg, Warendorf 1988. Die Soldaten erlebten demnach das Sterben als ein abstraktes Konstrukt und thematisierten in Feldpostbriefen und Selbstzeugnissen die eigene Vergänglichkeit sowie die Reflexion von Leben und Tod. Die Soldaten schrieben häufig in der dritten Person und erwähnten selten den Heldentod und oder den Sinn des Sterbens in ihren Briefen an die Angehörigen, siehe auch Stefanie Westermann/ Dominik Groß/Stefan Lohmeyer, Überlegungen zum Sterben im Zweiten Weltkrieg im Spiegel von Feldpostbriefen, in: Michael Rosentreter/Dominik Groß/Stephanie Kaiser (Hrsg.), Sterbeprozesse. Annäherung an den Tod, Kassel 2010, S. 79–92.
  • 3. Rüdiger Overmans, Deutsche militärische Verluste im Zweiten Weltkrieg, München 2004, S. 265.
  • 4. Ebd., S. 267.
  • 5. Mehr zu den WGO und Details ihrer Aufgaben, siehe Klaus Woche, Die Wehrmactgräberoffiziere und ihre Aufgaben, In: Deutsches Soldatenjahrbuch (1984), S. 434–437.
  • 6. Teilweise als kommissarischer Pfarrer, ab dem 1.11.1939 als planmäßiger Pfarrer.
  • 7. http://www.15id.info/ExWessinger.htm (abgerufen am 26.08.2017), sowie Unterlagen im Landeskirchenarchiv Eisenach. Damit wurde er offiziell aus dem Dienst in der thüringischen evangelischen Kirche entlassen. Bis zu seiner Einberufung war Julius Wessinger Landesobmann des “Wittenberger Bundes”; einer Vereinigung von “Christen der Mitte”, die - noch entschiedener als die “Bekennende Kirche”- den Machtzuwachs der nationalsozialistischen Strömung der “Deutschen Christen” zu verhindern versuchte.
  • 8. Nähere Informationen dazu sind aus den vorhandenen Unterlagen nicht zu entnehmen.
  • 9. Mehr zur Seelsorge im Krieg und den Aufgaben der Pfarrer, siehe Dagmar Pöpping, Kriegspfarrer an der Ostfront. Evangelische und katholische Wehrmachtseelsorge im Vernichtungskrieg 1941 -1945, Göttingen 2017.
  • 10. Nach dem Krieg gerieten er und Teile seiner Division in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1946 wieder entlassen wurde. Ein Jahr später trat er wieder als Pfarrer in den Dienst der Thüringischen Evangelischen Landeskirche ein, vgl. http://www.15id.info/ExWessinger.htm (abgerufen am 26.08.2017).
  • 11. Ab 1943/1944 wurden die WGO zu Stabsoffizieren des Wehrmachtverlustwesens, die den Stäben der territorialen Befehlshaber eingegliedert wurden, vgl. Richtlinie Nr. 29 von WVW, 17.12.1943, Bundesarchiv (weiter als BArch) RW 6/519. In diesen Ausführungen sollen die Wehrmachtgräberoffiziere/Stabsoffiziere weiterhin als WGO bezeichnet werden.
  • 12. Unklar wo genau.
  • 13. BArch RWD 12/37Dienstanweisung für Wehrmachtgräberoffiziere, 1944.
  • 14. Die WGO wurden nach Bezirken eingeteilt, siehe BArch RH 13/70 Karten zur Einteilung der WGO im Osten, 01.07.1943.
  • 15. BArch MSg 2/11610 Aurich an General Witlich, 21.03.1947.
  • 16. Ebd. Zum Kriegsende setzte er mit seinem Stab von Ostpreußen über die Ostsee nach Westdeutschland über, ließ aber noch über 1000 Fälle von Grabmeldungen unbearbeitet. Nach der Kapitulation erhielt er für seine Arbeit der Vermisstenschicksalsklärung einen Schutzbrief des Roten Kreuzes und konnte seine Arbeit fortsetzen, indem er Angehörigen die Grablagen der Gefallenen mitteilte, vgl. BArch MSg 2/12123 Erklärung über die Tätigkeit Aurichs gegenüber der Kriminalpolizei Dortmund-Brechten, Herbst 1946.
  • 17. BArch RH 26-15/101 Schriftwechsel Gräberoffizier der 15. Infanterie-Division mit WGO 61, 1942-1943, , sowie weitere Dokumente im Bestand RH 26-15, 15. Infanterie-Division im Bundesarchiv Freiburg.
  • 18. BArch RH 26-15/101 Gräberoffizier der 15. Infanterie-Division an Abt. IV, 01.10.1942.
  • 19. BArch RH 26-15/99 Bericht des Gräberoffiziers der 15. Infanterie-Division an WGO AOK 4, 18.09.1941.
  • 20. Archiv Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. Kassel, 107 Teil 1, Tagebuch des Divisions-Pfarrers und Gräberoffiziers der 26. mot Infanterie-Division.
  • 21. BArch RH 26-170/107 „Unseren gefallenen Kameraden zum Gedächtnis“, Broschüre zum Ehrenfriedhof der 170. Infanterie-Division Karagos.
  • 22. Ebd.
  • 23. Ebd.
  • 24. Über das weitere Schicksal der Anlage ist nichts weiter bekannt, vermutlich wurden die Gräber zerstört und unkenntlich gemacht. Die Ausbettungen auf der Krim sind soweit abgeschlossen, die geborgenen Soldaten befinden sich heute auf der deutschen Kriegsgräberstätte Gontscharnoje bei Sewastopol, siehe <http://www.volksbund.de/kriegsgraeberstaette/sewastopol-gontscharnoje.html> (abgerufen am 06.02.2018).
  • 25. Das Holz für die Grabkreuze musste von der Nachschubkompanie erst aus einem entfernt liegenden Wald geliefert werden, vgl. BArch RH 26-15/101 Nachschubkompanie 15 an Gräberoffizier der 15. Infanterie-Division, 16.03.1943.
  • 26. „(...) Wo sie gefallen sind, da werden wir kämpfen und siegen und ihr Vermächtnis erfüllen“, in: „Unseren gefallenen Kameraden zum Gedächtnis“, Broschüre zum Ehrenfriedhof der 170. Infanterie-Division Karagos, BArch RH 26-170/107.
  • 27. BArch RW 6/517 Zusammenfassende Richtlinien für Lichtbildaufnahmen von Soldatengräbern, Abteilung Wehrmachtverlustwesen, 01.08.1942.
  • 28. Ebd.
  • 29. Jakob Böttcher, Geschichte der Kriegsgräberfürsorge in Deutschland, unveröffentlichte Dissertation, Universität Halle 2016, S. 86.
  • 30. „Ständig erreichen uns Anfragen und Bitten zu Bildern von Angehörigen“, so der Gräberoffizier der 15. Infanterie-Division an WGO 14 in Angers, 04.06.1942, BArch RH 26-15/101.
  • 31. BArch RH 26/12-144 Evangelischer Divisionspfarrer der 12. Infanterie-Division, Tätigkeitsbericht 16.12.1941 – 28.02.1943.
  • 32. BArch RH 26-15/99 Gräberoffizier der 15. Infanterie-Division an eine Ehefrau eines Gefallenen, 14.07.1943. So auch in den Bestimmungen und Richtlinien für den Wehrmacht-Gräberdienst bei der Truppe festgelegt, BArch RW 6/182.
  • 33. BArch RH 26-15/100 Gräberoffizier an eine Familie in Merseburg, 27.06.1943, sowie Brief an eine Familie in Meiningen, 02.07.1943.
  • 34. BArch RH 26-15/99 Gräberoffizier schreibt an Familie eines Gefallenen, 12.07.1943.
  • 35. Siehe zur Medialisierung von toten Soldaten Christoph Rass/Jens Lohmeier, Der Körper des toten Soldaten. Aneignungsprozesse zwischen Verdrängung und Inszenierung, in: Dominik Groß/Jasmin Grande (Hrsg.), Objekt Leiche. Technisierung, Ökonomisierung und Inszenierung toter Körper, Frankfurt a.M. 2010, S. 303.
  • 36. Ebd.
  • 37. Teilweise fehlten die Erkennungsmarken der Gefallenen aus verschiedenen Gründen, Verlust etwa, oder die Erkennungsmarken wurden entgegen den Vorschriften nicht am Hals, sondern an Handgelenken oder Hosenträgern getragen, die beim Kampf entweder verloren gingen oder durch die Bestattenden nicht gefunden wurden und so der Tote als unbekannt registriert wurde, siehe BArch MSg 2/12123 Schreiben des WGO 3. Panzer-Armeeoberkommandos, 17.09.1944.
  • 38. BArch RH 26-293/74 Evangelischer Pfarrer und Gräberoffizier der 293. Infanterie-Division, Tätigkeitsbericht 16.02.1942 - 15.09.1942.
  • 39. Ebd. In einigen Fällen hatten die Beerdigungskommandos während des Krieges (falls die Erkennungsmarke beim Toten nicht vorlag) die Personaldaten auf einem Stück Papier vermerkt und dies in einer verschlossenen Flasche mit dem Toten beigesetzt.
  • 40. Meinhold Lurz, Kriegerdenkmäler in Deutschland. Drittes Reich. Bd. 5, Heidelberg 1986, S. 77.
Abbildung 1: Friedhof der 170. Infanterie-Division Karagos, Krim Bundesarchiv RH 26-170/107
Abbildung 2: Umbettung im Gebiet Orel, Gräberoffizier 293. Infanterie-Division, Bundesarchiv RH 26-293/74